Vorbemerkungen zum Stoffverteilungsplan Musik 2007/08 der GS Horn

Rahmen- und Lehrpläne basieren auf der Annahme, Bildungsziele für eine halbwegs homogene Zielgruppe mit halbwegs ähnlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten formulieren zu können.

Im Bildungsplan Musik Sek. I / Rahmenplan Musik für die integrierte Gesamtschule Hamburgs von 2003 werden dementsprechend Ziele avisiert, die für alle GesamtschülerInnen Hamburgs gelten sollen. Sie gelten somit ebenso für SchülerInnen aus Volksdorf wie für SchülerInnen aus Billstedt und gehen von ähnlichen Lern-, Konzentrations- und Handlungskompetenzen aus wie von – auf Musik bezogen – ähnlichen kulturellen Erfahrungen und Bedürfnissen der Zielgruppe.

Seit Bestehen der GS Horn hat sich ihre Schülerschaft ähnlich wie der soziale Hintergrund der Familien des Einzugsgebietes der Schule extrem verändert. Horn und Billstedt gehören zu den „kippenden“ Stadtteilen (v. Beust), für die eigens Stadtentwicklungspläne erarbeitet werden, um das zunehmende „Abrutschen“ aufzuhalten. 70% der SchülerInnen der GS Horn haben einen Migrationshintergrund, in mindestens 50% der Familien wird nicht Deutsch gesprochen, viele Kinder leben an der Armutsgrenze, viele Familien von der Sozialhilfe, etliche Kinder werden von nur einem Elternteil erzogen.

Kultur im weitesten Sinne wird von den meisten Eltern an dem (finanziellen) Nutzen für das Bestreiten des Lebensunterhaltes gemessen. Musik in der Familie dient ausschließlich der Entspannung und Ablenkung. Nach einer internen Umfrage des Musikbereichs erlernt nur ein verschwindend geringer Prozentsatz unserer SchülerInnen ein Instrument, wird zu Hause weder musiziert noch gemeinsam gesungen, besitzen die meisten Familien kein Instrument und können auch keinen Privatunterricht bezahlen. Zudem besteht die verbreitete Meinung, mit Musik könne man weder Geld verdienen noch eine Ausbildung verbessern, die Beschäftigung mit Musik sei dementsprechend höchstens nebensächlich.

Unsere SchülerInnen verbinden mit dem Schulfach Musik zu Beginn ihrer Schullaufbahn meist eine allgemeine Nutzlosigkeit und Beliebigkeit sowie ein unausgesprochenes Recht auf Entspannung und eine im Stundenplan verankerte kurzfristige Abwendung vom ungeliebten Lern-Alltag. Kaum ein/e SchülerIn unserer Stadtteile geht in der Freizeit in Konzerte, Musikveranstaltungen werden nur wahrgenommen, wenn sie auf Stadtteilfesten ö.ä. geboten werden – und auch dort möglichst noch von Künstlern, die in den Stadtteilen bekannt sind und dem gebotenen Musikgeschmack (fast ausschließlich Hip-Hop) entsprechen.  

Für die SchülerInnenschaft der GS Horn gelten meist allgemeine, in den Elternhäusern vorgelebte „Erfahrungen“:

Musik ist „etwas für nebenbei“, sie ist auf keinen Fall Arbeit, Konzentration, Übung Training, Ausdauer oder gar Wissen. 
- Musik hat mit Bildung nichts zu tun, denn Musik hören und konsumieren kann jeder.
- Musik ist nur gut, wenn man sie kennt und mag.
- Musik ist ein Ausgleich zur allgemeinen Langeweile und Sinnlosigkeit.
Musik ist eine nette Freizeitbeschäftigung für Menschen, die sich Musizieren und Konzertereignisse erlauben können.
- Musik darf weder Zeit noch Geld kosten, da man vom Erlernten keine Familie ernähren kann.

Für die SchülerInnenschaft der GS Horn müssen also vor und während der Erarbeitung in den Bildungsplänen formulierter Lernziele durch und im Musikunterricht Bedingungen geschaffen und trainiert werden, die eine Beschäftigung mit diesen Lerninhalten überhaupt erst ermöglichen, statt die SchülerInnen durch vorgefertigte und für jeden als allgemeingültig festgelegte Unterrichtsinhalte in eine Abwehrhaltung zu manövrieren, die ihre Vorurteile nur noch bestätigen und festigen hilft. 

Diese Lernziele für die Lernziele können für die GS Horn wie auch für viele andere Gesamtschulen im sozialen Brennpunkt folgendermaßen zusammen gefasst werden:

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Musik ist Genuss, eine allgemeine Genussfähigkeit ist erlern- und erfahrbar, selbst wenn der familiäre (Überlebens-)Alltag dagegen sprechen mag. 

- Musik ist ein ästhetisches, kognitives und soziales Grundnahrungsmittel, dass jeder Mensch für sich in Anspruch nehmen sollte und kann.
- Musik ist konsequente Arbeit an sich selbst.
Musik ist geistige Konzentration, körperliche Anstrengung, Übung, Training, Ausdauer und angewandtes Wissen.
- Musik ist Bildung, Bildung ist Ausbildung, Ausbildung ist eigene Zukunft.
- Musik ist aktive Freizeit, Kommunikation und ein miteinander Leben.
- Musik ist finanzierbar.
- Musik ist Kultur, Kultur ist Lebensqualität, Lebensqualität ist Genuss.

Im Alltag des Musikunterrichts beschäftigen sich unsere SchülerInnen vor und während der Auseinandersetzung mit fachspezifischen Inhalten immer auch mit den „heimlichen“ o.g. „Vorab-Lernzielen“, die nicht selten einen größeren Zeitraum in Anspruch nehmen müssen als die in den Bildungsplänen formulierten „eigentlichen“ Lernziele, damit letztere überhaupt angegangen werden können. 

Für die Unterrichtspraxis Musik an der GS Horn konkretisiert heißt das:

-    Jedes musikalische Lernziel muss verbunden sein mit einem konkreten Ziel, um den „Nutzen“ des Lernens so lange erkennen zu können, bis sich der Genuss am Lernen zu verselbstständigen vermag. Daher wird an der GS Horn jedes Ergebnis veröffentlicht – in Form von Auftritten, Konzerten und anderen Produktionen. 
Jede musikalische Aufgabe hat das Ziel, die eigene Anstrengung zu einem Erfolg zu bringen, der über dem sich selbst jemals zugetrauten liegt. Der damit erzielte Genuss am eigenen Können (= Selbstwert) vermag sich auf weitere Situationen, Fähigkeiten und Inhalte übertragen und den Kreislauf einer ausschließlich dem materiellen Überleben gewidmeten Existenz durchbrechen. Daher wird an der GS Horn möglichst jede erlernte Tätigkeit und jedes Wissen auf andere Ebenen transferiert und die eigene Erfahrung an andere gekoppelt, d.h. es werden Konzerte mit Profis arrangiert, es wird vor einem ungewohnten Publikum aufgetreten, die neuen Kenntnisse als CD-Rom zusammengefasst, eigene Kinderlieder herausgegeben etc.
Jede Freude an musikalischem Tun und Wissen erwächst aus der konzentrierten Auseinandersetzung mit dem Material, dem Verbessern des eigenen Könnens und dem Ausbilden weiterer eigener körperlicher und geistiger Fertig- und Fähigkeiten. Daher wird an der GS Horn oft über extrem lange Zeitspannen hinweg an hochwertigen Instrumenten trainiert, immer wieder Körperhaltung und -spannung einstudiert, Geduld und Konzentration eingeübt und in Einzel- und Gruppensituationen ausprobiert und gefestigt.
Jedes im Detail verstandene Fachwissen ist einem meist nur halb oder gar nicht verstandenen Allgemeinwissen vorzuziehen, damit ein Transfer von Können über Verstehen zum allgemeinen Begreifen in anderen Zusammenhängen möglich wird. Daher werden an der GS Horn alle Unterrichtsinhalte statt in kurzfristigen Abrissen detailliert in unterschiedlichsten Zusammenhängen geübt, spezialisieren sich Wahlpflichtkurse auf bestimmte musikalische Gebiete (Klassenorchester, Steelband, Cajonorchester), arbeitet eine Schülerfirma z.B. an Entwicklungen von Instrumenten, üben ganze Jahrgänge für selbst produzierte Musicals.
Jeder Mensch kann Musik machen, sollte Musik machen und kann sich auch ein Instrument leisten. Daher werden an der GS Horn im Jahrgang 7 eigene Instrumente gebaut, auf denen jede/r SchülerIn motorisch-rhythmische Grundlagen mit Übungen zur Körperhaltung kombiniert und somit auch Konzentration und Durchhaltevermögen trainiert.
Jeder Mensch ist ein Teil unserer Kultur, kann diese aktiv genießen und sogar mit prägen. Daher hat die GS Horn eine eigene Konzertreihe gegründet, um die eher abstinente oder sehr eingeschränkt auswählende Schülerschaft an die Vielfalt von Kultur „zu gewöhnen“, den Kontakt zu Kulturschaffenden zu erleichtern und selbstverständlich werden zu lassen sowie mit professionellen Künstlern sogar aufzutreten oder gemeinsam Musik zu produzieren.
Jeder Mensch kann durch Musik seinen eigenen Vorlieben frönen und gleichzeitig diese mit anderen in der Gruppe im Schulalltag wie in der Freizeit ausüben und erweitern. Daher bietet die GS Horn möglichst vielen Kindern die Teilnahme an AGs und Kursen, an Workshops und Projekten, deren Inhalte – um immer wieder den Bezug zum Musikunterricht herzustellen und deutlich zu machen, dass Lernen ein übergreifender Prozess ist, der sich nicht auf Lehrpläne, Unterrichtsstunden oder -einheiten reduzieren lässt – ins wöchentliche Arbeitspensum des Regelunterrichts und in übergreifende Projekte einfließen.

Aufgrund unserer sich mit fast jedem Jahrgang verändernden Schülerschaft, der  wechselnden Projektangebote des Musikbereiches, der extrem heterogenen Zusammensetzung der Kurse, der unterschiedlichsten musikalischen Vorerfahrungen durch Familie/Grundschule bzw. der vielen Zulieferer-Mittelstufen für unsere Oberstufe muss der Stoffverteilungsplan Musik in jedem Jahr neu diskutiert, geschrieben und durchgeführt werden. Nicht selten bedingen Klassen- und Kurszusammensetzungen im Schuljahr notwendige Änderungen der Pläne, oft verschieben kurzfristig machbare Projekte, Einladungen zur Teilnahme an Aufführungen und Konzerten oder die Zusage von außerschulischen Profis, mit unseren SchülerInnen zu arbeiten, die Pläne sogar in andere Jahrgänge, manchmal lassen sich angestrebte Ziele nur durch Wochenendarbeit oder durch Kürzungen des Stoffs erreichen.

So sind denn auch diese Stoffverteilungspläne nur als Annäherung an machbare und wünschenswerte musikpädagogische Ziele und Inhalte zu verstehen, die selbst bei bestem Willen nicht immer zum Jahresende in der vorliegenden Form verwirklicht werden können.
Daher wurde auf eine Darstellung der Inhalte in einer Stunden- bzw. Zeitleiste bewusst verzichtet, da diese weder den Prozesscharakter des Musikunterrichts wiedergeben noch einer den o.g. Bedingungen entsprechenden Flexibilität entsprechen kann, die gemeinsam eine konsequente Musikpädagogik im sozialen Brennpunkt ausmachen.

Die Musiklehrer der GS Horn: Jens Everling, Nis Nöhring, Arend Schmidt-Landmeier

Im Dezember 2007

 

►  Stoffverteilungsplan.xls